Die letzten Tage hatten wir bei unseren morgendlichen Spaziergängen immer einen ungewohnt ungewöhnlichen Begleiter – ein richtig, echtes Reh.
Zumindest roch es schon aus der Ferne nach Reh und sah beim Näherkommen auch danach aus. Also muss es eines sein, selbst wenn sich mein neuer Freund nie bis auf Beschnuppernähe an uns heranwagt.
Die meisten Rehe scheinen Angst vor mir zu haben – kann man sich gar nicht vorstellen, oder!? Irgendwer muss da ganz üble Vorurteile über unsereins bei den Paarhufern verbreiten. Jedenfalls galoppieren die meisten bei meinem Anblick schnell und ohne große Worte zu verlieren einfach davon.
Aber dieses spezielle Exemplar hat uns, soll heißen Tobias und mich, offenbar ziemlich ins Herz geschlossen. Es ist nun schon der dritte Tag in Folge, dass es an ein und derselben Stelle morgens wartet, bis wir den Weg entlang gelaufen kommen. Dann stellt es sich ins hohe Gras und guckt. Und guckt. Und guckt. Und wackelt mit seinen Öhrchen. Und guckt.
Leider liegt zwischen seinem Standort und unserem nicht nur ein kleiner Bach, sondern auch ein ausgedehntes Beet mit Brennesseln – also beschränke ich mich ebenfalls lieber aufs Beobachten. Dabei würde mir ein kleines Verfolgungsrennen schon Spaß machen!
Ich persönlich könnte mich ja stundenlang mit Zugucken beschäftigen. Es ist nämlich ganz interessant, was hund dabei alles über Rehe erfährt:
Rehe fressen beispielsweise sehr gerne Gras. Das tue ich zwar auch, aber bei weitem nicht mit so einer leidenschaftlichen Hingabe. Außerdem können Rehe lange Zeit ganz, ganz still stehen. Hund ich sage Dir, das wären die geborenen Mäusejäger!
Tobias hingegen wird nach spätestens fünf Minuten unruhig und zuppelt an meiner Leine herum. Ihm fehlt halt die nötige Muse für sowas. Die ersten paar Mal ignoriere ich sein Drängeln, aber dann blinzel ich dem Reh vor dem Weitergehen noch schnell ein „Bis morgen!“ als Verabschiedung zu.
Das Reh und ich haben einen Draht zueinander. Denn sobald wir uns zum Gehen entschließen, verschwindet es ebenfalls im Unterholz; und läuft bestimmt nach Hause, um dort allen Freunden begeistert von seiner Begegnung mit mir zu erzählen.
Hoffentlich lernen die anderen Rehe dadurch, dass Hunde und Paarhufer Freunde sein können. Ganz im Sinn der speziesübergreifenden Völkerverständigung.
Wilde Grüße
Dein Filou!
Autor: Tobias Eichner | Datum der Veröffentlichung: Juni 2020
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