Heute morgen, kurz nachdem ich Tobias aufgeweckt und mir so eine Portion Morgenleckerchen besorgt hatte, bewunderte ich mein Spiegelbild. Das geht, weil im Gästezimmer nebenan ein toller Kleiderschrank steht, mit einem Spiegel dran, der fast bis zum Boden reicht.
„Ich bin nicht eitel, ich bin schön!“
Also stand ich da auf allen Vieren und ließ sowohl meinen Blick wie auch meine Gedanken schweifen:
Wau, Filou, Du sieht heute wieder tierisch gut aus… Du rüdenstarker Traum jeder Hündin… wuff… meine wohlgeformten, mit zweifarbigen Krallen bestückten Pfötchen, die in muskulöse Läufe übergehen, meine animalisch geformte Taille, die buschige Rute und last but not least mein gutaussehendes Schnäuzchen mit den multifunktionalen Steh-Klapp-Öhrchen. Was bist Du doch für ein toller Hund…
Gleich geht’s mit Tobias raus und mein befellter Traumbody darf von allen vier- und zweibeinigen Mädels bewundert werden… wuff… kurz den Pelz zurecht schütteln… schnell mal über die Lefzen lecken und… … … Hey, Moment… oh nein… was ist denn da bloß mit meiner Nase los?!
Zack! Gerade hatte ich mir noch selbst das Ego gestreichelt, schon sackte mein Hinterteil vor Schreck nach unten und holte mich unsanft in die Realität zurück.
Stell Dir vor, mein ehemals rabenschwarzes Näschen hatte plötzlich einen bräunlichen Ton angenommen!
Naja, nicht wirklich braun, es war eher so eine Art bronzefarbener Schimmer. Was sollte das sein?! Heiliger Wolf, bleiche ich am Ende vielleicht aus???
Okay, tieef durchatmen. Das war bestimmt bloß das Licht. Also schnell näher zum Fenster und gaaanz genau geguckt, was da nicht stimmt.
Aber egal aus welcher Position heraus ich mich auch im Spiegel anstarrte, schwarz konnte man das definitiv nicht mehr nennen! Wieso ist mir das nicht schon viel früher aufgefallen und warum sagte Tobias mir nix?
Oh-oh. Wolltee er mich am Ende schonen, wie Menschen das gegenseitig machen? Die beurteilen ihr Aussehen nämlich mindestens so kritisch wie ich. Die Fältchen am Schnäuzchen weiblicher Zweibeiner sind ein absolutes Tabuthema, genauso das dünne Kopffell von deren Rüden.
Alles halb so schlimm… oder?
Darüber wird offenbar nicht gern gesprochen. Ob das bei ausgeblichenen Näschen vielleicht ähnlich abläuft? Möglich, obwohl ich bisher noch keinen Menschen mit einer andersfarbigen Nase gesehen habe.
Wie auch immer, so konnte dieser Zustand ja nicht bleiben. Schnurstracks schnüffelte ich nach Tobias und zeigte ihm mein Problem, verbunden mit der Bitte, es niemandem, wirklich n-i-e-m-a-n-d-e-m zu erzählen, schon gar nicht der süßen Schäferhündin ein paar Straßen weiter.
[Ich musste auf alle heiligen Leckerchen schwören… was glaubst Du, lieber Leser, wie lange es gedauert hat, Filou zu überreden, diese Geschichte hier zu veröffentlichen?]
Aber der zuckte nur mit den Schultern und meinte, das wäre absolut normal. Manche Hunde bekämen im Winter ein helleres Näschen, weil weniger oft die Sonne schiene und Menschen dann ja auch nicht braun würden. Spätestens im Frühjahr hätte ich wieder einen nachtschwarzen Riecher.
Okay, das hat mich schon ein bisschen beruhigt. Es ist also nichts dauerhaftes. Trotzdem. Musste ich mich wirklich damit abfinden? Da kam mir eine Idee: Manche zweibeinige Weibchen bemalen sich immer ihr Gesicht, bevor sie einen Rüden treffen. Ob Tobias das vielleicht auch mit meinem Näschen machen könnte?
Blöderweise riechen solche Puder, Cremes und Buntstifte immer irgendwie komisch. Und das so nahe an meinem empfindlichen Geruchsorgan? Da bekäme ich ja beim Schnüffeln nur noch die Hälfte mit.
Hüpft Filou auf die Sonnenbank?
Nein, also das schied aus. Mmmh… meine Ohren glühten schon vom Nachdenken, als mir eine geniale Idee ins Oberstübchen kam: Irgendwer erzählte mal, dass sich Menschen auf beleuchtete Tische legen, um eine dunklere Hautfarbe zu bekommen. So ähnlich wie ein Stück Brot im Toaster.
Letztenendes konnte ich mich mit keine dieser Optionen anfreunden. Schließlich soll doch nur mein Näschen wieder dunkler werden. Mein Fell mag ich so, wie es ist. Außerdem wüsste ich gar nicht, wie temperaturbeständig ich bin.
Ach, zum Knochen nochmal! Da steckte ich nun in einer echten Zwickmühle… sollte ich mich nur wegen ein paar alberner Schönheitsideale irgendwelchen menschlichen Experimenten hingeben?
Ich werde das ganz pragmatisch lösen, nämlich auf die tierisch selbstbewusste Art und eben in den kommenden Wintermonaten mit erhobener bronzefarbener Nase die Gassispaziergänge bestreiten. Außerdem macht mich das ja nur noch interessanter… und meiner Fellfreundin gefalle ich sicher auch so!
Egal, welche Farbe Dein Näschen hat,
Filou mag Dich!
Autor: Tobias Eichner | Datum der Veröffentlichung: Januar 2023
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